Tierblut als Rohrstoff in Zahlen
(Schweiz 2020)

ca. 20’000 Tonnen


Ressourcre


Im Jahr 2020 wurden in der Schweiz 2'491'256 Schweine sowie 403’667 Rinder und in kleineren Mengen Kälber, Schafe, Ziegen, Pferde, Esel, Wild und Kaninchen geschlachtet. Wird ein Schwein geschlachtet, fallen durchschnittlich etwa fünf bis sechs, beim Rind zehn bis zwölf Liter Blut an. Hochgerechnet ergibt dies in der Schweiz im Jahr 2020 eine Ressource von mindestens 16-19 Millionen Liter beziehungsweise 14’000-20’000 Tonnen Tierblut.

Weniger als 5% des Schweineblutes werden zu Fleischerzeugnisse oder Sauce verwertet. Das Blut von Rindern, Schafen und Ziegen wird teilweise zu Tierfutter weiterverarbeitet, welches in der Schweiz seit der BSE-Krise 1990 nur für Heimtiere zulässig ist. Grösstenteils wird Tierblut zur Biogas-Herstellung eingesetzt. Aufgrund des hohen Energieverbrauchs für die dafür erforderliche Drucksterilisation stellt diese Weiterverarbeitung jedoch keine ökologisch sinnvolle Ressourcenverwertung dar. Somit stellt Tierblut als Sekundärstoff der Schlachtindustrie eine leicht verfügbare und nicht ausgeschöpfte Ressource dar.


Semantik


Tierblut ist ein ikonografisch, kulturell und historisch stark aufgeladenes Material. Blut als Lebenssaft wird kulturübergreifend mit der Farbe Rot gleichgesetzt und symbolisiert gegensätzliche Begriffe wie Leben und Tod, Gesundheit und Krankheit oder Kraft und Kraftlosigkeit. Weiter steht es für Mut, Liebe, Fruchtbarkeit oder Opferbereitschaft, aber auch Hass, Aggression, Sünde und Krieg. Blut ist für Säugetiere überlebenswichtig und steht daher mit Leben, aber auch Verletzung, Schmerz und Tod in Verbindung. Blut kann Risiken bergen und Träger von Krankheiten sein. Unter anderem aufgrund dieses Wissens löst Blut oft Ekelempfinden aus. Neben seiner Heiligsprechung als gutes Blut führt auch seine Bedeutung des bösen Bluts zu einer Tabuisierung.

In der Geschichte der europäischen Kultur finden sich bis in die Gegenwart viele mythische Interpretationen von Blut, in welchen es oft stellvertretend für gesellschaftliche Themen steht. Im Zeitalter des Anthropozäns steht Tierblut als Material in Verbindung mit Überkonsum von tierischen Produkten und der hierarchischen Beziehung von Mensch zu Nutztier. Zudem lässt sich Tierblut innerhalb der Diskurse um Ressourcenverbrauch und Umgang mit Sekundärstoffen reflektieren.


Eigenschaften


Blut von Säugetieren ist flüssig und besteht zum grössten Teil aus Wasser. 7 Liter Blut enthalten etwa 1 Kilogramm feste Bestandteile, vor allem Eiweiss, Blutkörperchen und Fibrin. Die rote Farbe von Blut basiert auf dem Häm, welches im Hämoglobin in den roten Blutkörperchen zu finden ist. Sie variiert je nach Sauerstoffgehalt: bei ausreichender Sauerstoffsättigung ist das Blut hellrot und bei Trocknung oxidiert das im Häm enthaltene Eisen und es wird rostbraun bis schwarz. Blut enthält zudem viele Proteine. Durch eine Denaturierung des im Blutplasma enthaltenen Proteins Albumin kann es klebend gemacht werden.


Geschichte


Eingesetzt zur besseren Haftung von Farben auf Felsgrund konnte Tierblut bei über 10'000 Jahre alten Höhlenmalereien entschlüsselt werden. Als Bindemittel für Beton taucht es in römischen Architekturbeschreibungen auf. Rinderblut als Farbe oder Bindermittel findet sich auch unter dem Namen Ochsenblut in Anstrichen antiker Bauten. Aus Tierblut und gelöschtem Kalk wurde unter dem Namen Blutkitt für Bauzwecke und zum Verstreichen von Mauerfugen hergestellt. In China fand diese Mischung als Anstrichmittel zum Abdichten von Holzkisten und Strohkörben Verwendung.

Zwischen 1855 und 1920 wurde Tierblut mit Holzspänen zum Proto-Kunststoff Bois Durci verarbeitet. Von etwa 1885 bis 1935 vertrieben diverse Firmen unter dem Namen Blutalbuminleim Klebstoffe aus Blutmehl. Diese wurden in der Buchbinderei und zur Sperrholz- und Furnierverleimung eingesetzt. Aufgrund der hohen Qualitätsschwankungen und der Entwicklung synthetischer Leime stellten die Firmen die Produktion jedoch ein.


Tierblut als ︎︎︎Raw Material ︎︎︎Farbe ︎︎︎Beschichtung   |   Werkstoff ︎︎︎Biopolymer ︎︎︎Textil ︎︎︎Verbundwerkstoff